02.01.2011 20:02 Uhr | Von: Daniela Englert.

Wer nicht zahlen kann, muss ausziehen

Nach dem Wegfall von Landeszuschüssen sind 28.000 Sozialwohnungen drastisch teurer geworden. Verdrängte Mieter brauchen oft Hilfe bei der Suche nach einem bezahlbaren Zuhause.

Es ist ein stiller Exodus. Ob in Neukölln, Kreuzberg oder Schöneberg: Mieter ziehen um, machen Zahlungskräftigeren Platz. Im Sommer gab es kräftige Mieterhöhungen für Sozialwohnungen in den Innenstadtbezirken. Das war für viele zu viel. Andere Mieter, die noch in den Häusern wohnen, möchten ihre Namen nicht in der Zeitung lesen, aus Angst, dass der Vermieter Ärger macht. Denn in manchen Fällen hat man sich geeinigt, der Preis soll ab jetzt nicht mehr steigen – doch das ist reine Kulanz des Vermieters: „Man muss immer nett sein, wenn man nicht die dreifache Miete zahlen will“, beschreibt ein Mieter die Situation.

Was zunächst wie ein schlechter Witz klingt, ist bittere Realität für die Bewohner von insgesamt 28.000 Wohnungen in Berlin, die dem Status nach noch Sozialwohnungen sind, für die die öffentlichen Mittel, die so genannte Anschlussförderung, aber ab 2003 gestrichen wurden. In über 700 Objekten in der ganzen Stadt sind Mieter davon betroffen. Mit dem Stopp der Förderung kann der Vermieter die so genannte Kostenmiete verlangen, in Berlin sind das zwischen 13 und 20 Euro nettokalt pro Quadratmeter.

So drastisch erhöht haben bisher zwar nur wenige Vermieter, zum Beispiel im Fall von Martin Becker, der im Juni eine Mieterhöhung von 100 Prozent ins Haus bekam. Weil er die nun verdoppelte Summe für seine Wohnung in der südlichen Friedrichstraße nicht zahlen konnte, musste er innerhalb von 14 Tagen kündigen – danach blieben ihm acht Wochen, um umzuziehen. Heute wohnt er in einer etwas kleineren Altbauwohnung nahe dem Kreuzberger Viktoriapark. Der Umzug, auf den er nicht eingestellt war, sei „finanziell desaströs“ gewesen. Mit der neuen Wohnung ist Becker sehr zufrieden. Doch der Schock wirkt noch nach: „Dass sowas möglich ist, ist ganz schön heftig“, sagt er. Als er vor ein paar Jahren in die Friedrichstraße einzog, sei ihm nicht klar gewesen, auf was er sich einlässt.

Damit ist er nicht allein. Ebenfalls nichts vom Sozialwohnungsstatus gewusst hat eine Mieterin, die anonym bleiben möchte. Ein Makler hatte sie ihr sogar noch gegen Provision vermittelt – was bei Sozialwohnungen nicht erlaubt ist. Wenigstens die Provision versucht sie jetzt zurückzubekommen. Als die Mieterhöhung kam, hätten sie und ihre Nachbarn das noch für einen Irrtum gehalten. „Man rechnet nicht damit, dass man so schutzlos ist“, sagt sie.

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Wer nicht zahlen kann, muss ausziehen
Vollständiger Artikel im Tagesspiegel vom 02.01.2011