10.05.2011 | Sonja Vogel

Mieterverein: Rot-Rot nimmt keine Rücksicht

Senat legt Entwurf über Wohnraumgesetz vor / Scharfe Kritik an dramatischen Verschlechterungen

»Es wird keinen handfesten Schutz vor Mieterhöhung geben«, erklärte gestern der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins Reiner Wild zum Gesetzentwurf für ein Wohnraumgesetz des Senats. Gemeinsam mit Franz Schulz, Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, und Sebastian Jung vom Bündnis sozialmieter.de kritisierten er den Senatsvorstoß.

»Dieser Gesetzentwurf nimmt auf die Mieter keine Rücksicht«, so Wild. Der Senat will weitere Belegungsbindungen aufgeben, obwohl diese dringend benötigt werden. Auch auf den Mietpreis wird man künftig nicht direkt einwirken.

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Zum grundsätzlichen Problem des sozialen Wohnungsbaus kommen 28 000 Wohnungen, denen 2003 die Anschlussförderung verweigert wurde, was Eigentümer in die Insolvenz trieb. Hier werden Kostenmieten bis 19 Euro nettokalt verlangt. Die Situation werde sich verschlechtern, prognostiziert Sebastian Jung. Hinzu komme, das es keine Belegungsbindung mehr geben wird. Mieterhöhungen stehe also nichts mehr im Wege.

Wie das aussehen wird, zeigen die Sozialwohnungen der Kochstraße 16-25 in Kreuzberg.

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Mehrere Mietparteien haben das Haus verlassen, denn die Insolvenzverwaltung setzte eine Mieterhöhung auf die Kostenmiete durch. »Die Miete bleibt auf dem Niveau der Kostenmiete zementiert, bis der Mietspiegel dieses Niveau übersteigt«, schätzt Jung.

Für Wohnungen mit Anschlussförderung gibt es zwei Szenarien: Bei einem Eigentümerwechsel erlischt die öffentliche Förderung, die Miete ist damit dem Vergleichssystem unterworfen. Erhöhungen blieben auf die ortsübliche Vergleichsmiete beschränkt, dabei wird ein Mieterhöhungsspielraum bis zu neun Euro nettokalt, dem Höchstwert des Mietspiegels, eingeräumt. Auch den vom Senat offerierten Wechsel in das Vergleichsmietensystem kritisiert darum der Mieterverein. Wurde die Miete bereits auf die Kostenmiete angehoben, wird dieser Betrag fixiert – wie in der Kochstraße. »Auch ohne Eigentümerwechsel bleibt das Risiko Kostenmiete«, so Jung. Die Miete könne jederzeit auf die Kostenmiete steigen.

Für die 135 000 Wohnungen, denen die Anschlussförderung nicht gestrichen wurde, ist eine jährliche Mieterhöhung von 13 Cent pro Quadratmeter zu erwarten. So werden die Kürzungen der Fördermittel kompensiert. Die Eigentümer können aber die Förderdarlehen früher und verbilligt zurückzahlen. Dafür müssen sie die Mieten senken. Der Senat schätzt, dass lediglich 15 Prozent der Eigentümer darauf eingehen – der Rest wird Fördermittel durch Mieterhöhungen kompensieren. Im Gesetzesentwurf ist das einzige Trostpflaster für Mieter eine drei Monate längere Kündigungsfrist. Schulz nannte dies »zynisch«: »Bitter ist, dass es nicht die bösen Privatinvestoren sind. Hier ist der Senat der Akteur der Verdrängung.«

Das Gesetz wird noch vor der Sommerpause verabschiedet.

Mieterverein: Rot-Rot nimmt keine Rücksicht
Artikel in Neues Deutschland vom 10.05.2011