27.02.2011 | Von: MOW

Miese Masche
Miet-Rassismus in Berlin?

Eine deutsche Familie muss 20 Euro mehr Miete zahlen, die ausländischen Nachbarn 900

Kreuzberg – Blankes Entsetzen erfasst einen Sozial-Bau an der Kreuzberger Kochstraße. Der Vermieter verpasste Bewohnern wie Adnan Omairat (43), gebürtiger Libanese, maßlose Miet-Erhöhungen.

Bei seiner Familie sind es fast 900 Euro. Schlimm genug, aber wirklich unfassbar ist: Nachbarn deutscher Herkunft bleiben von der Brutal-Erhöhung verschont. Kristin Schnell (42) und Tochter Lilian (18) etwa sollen nur 20 Euro mehr berappen.

„Ich empfinde das Vermieter-Vorgehen als rassistisch!“, sagt Bewohnerin Kristin Schnell. Sie hat, genau wie die KURIER-Reporter, die Mieterhöhungen vieler Bewohner verglichen. Ergebnis: „Es fällt auf, dass die Hausverwaltung offenbar Mieter mit Migrationshintergrund benachteiligt.“ Die Familie ihres direkten Nachbarn Riyadh M. (46) etwa lebt in einer fast gleich großen Sozialwohnung (knapp 99 Quadratmeter). Aber: „Statt 20 soll er 789 Euro mehr zahlen.“

Der Fall empört auch Günter Piening (60), Integrations-Beauftragter des Senats. Er sagt: „Das ist ungeheuerlich! Wir werden das Vorgehen juristisch prüfen.“ Man müsse „solchen Machenschaften von vornherein Einhalt gebieten“. Piening lädt die Bewohner ein, die Beratungsangebote seiner Behörde zu nutzen.

Große Fassungslosigkeit zieht sich quer durch die politischen Parteien. Michael Arndt, SPD-Wohnungs-Experte, sagt: „Das klingt nach ethnischer Bereinigung.“ Der Vermieter verstoße klar gegen das Verbot jeglicher Diskriminierung und die Maßgabe „Eigentum verpflichtet“. Matthias Brauner (CDU) und Andreas Otto (Grüne), wohnungspolitische Sprecher ihrer Fraktionen, vermuten: „Die Wohnungen sollen entmietet und dann in Eigentum verwandelt werden.“

Kurzum: Der Fall Kochstraße wird rasch großes Thema in Abgeordnetenhaus und Senat sein. Jutta Matuschek (Linke) fordert, die Wohnsituation von Migranten generell stärker ins Zentrum der Debatte zu rücken.

Nur der Absender der Miet-Erhöhung, die „Claus Hausverwaltung“, war für den KURIER gestern nicht zu erreichen. In ihren Anschreiben an alle Mieter heißt es: Man sei erfreut, dass die Eigentümer lediglich eine „moderate Mieterhöhung“ durchführen wollen …

Warum Sozialmieten plötzlich so stark ansteigen

Wenn die Miete plötzlich um 900 Euro steigt, liegt ein Gedanke nah: Das kann doch gar nicht erlaubt sein! Leider ist das ausgerechnet im sozialen Wohnungsbau grundsätzlich möglich. Betroffen sind rund 28 000 Wohnungen, seit der Berliner Senat 2003 die „Anschlussförderung im sozialen Wohnungsbau“ kippte. Die Eigentümer können von den sozial schwachen Bewohnern jetzt die tatsächlich anfallende Miete (Kostenmiete) fordern. Sie liegt, je nach Wohnanlage, zwischen zehn und 20 Euro pro Quadratmeter.

Wiederholte Mieterhöhungen sorgten bisher vor allem im Kreuzberger Fanny-Hensel-Kiez für Proteste. In der Schöneberger Akazienstraße gab es auch Aktionen. Dennoch bleibt betroffenen Mietern meist nur eine Wahl: bezahlen oder wegziehen.

Miese Masche
Miet-Rassismus in Berlin?

Artikel im Berliner Kurier vom 28.02.2011
Hintergrund Kostenmiete im Berliner Kurier vom 28.02.2011
Titelseite des Berliner Kurier vom 28.02.2011