09.11.2011 | von Ralf Schönball

Wohnungsnot

Mieten verdoppelt: Schnelles Geld am Checkpoint Charlie

In der Kochstraße werden Mietwohnungen zu Ferienappartements. Wer nicht auszieht, soll von einem Tag auf den anderen fast doppelt so viel Miete bezahlen. Rot-Schwarz vertagt das Problem.

Sozialbauten und deren Umwandlung in Ferienwohnungen – das ist ein einträgliches neues Geschäftsfeld. Geeignet sind viele Häuser. Gut erhalten müssen sie nicht sein. Eine halbwegs zentrale Lage reicht aus. Ein Beispiel für diesen – aus Sicht betroffener Mieter skrupellosen – Handel mit Wohnraum ist eine Häuserzeile in der Kreuzberger Kochstraße. Die Bewohner sollen von einem Tag auf den anderen fast doppelt so viel Miete bezahlen. Wer auszieht, findet seine Wohnung im Internet wieder – als Ferienwohnung.

Auch Vivien Brüllke hat jetzt Post bekommen, schlechte Nachrichten vom Vermieter: Er schlägt 807,51 Euro auf die Monatsmiete drauf.

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Die „Claus Hausverwaltung“, die den Gebäudekomplex betreut, will Fragen weder telefonisch noch schriftlich beantworten. Als Eigentümer des Gebäudes wird den Mietern die „ TOV Kochstraße 16-25 Grundbesitz GmbH“ genannt, die ein Geschäftsmann aus Bremen leitet. Laut Handelsregister führt er auch die Geschäfte der „Spielpalast Deichhorst GmbH“. Deren Gesellschaftszweck: „Betrieb von Spielhallen, Aufstellung von Geldspielgeräten, deren An- und Verkauf, Vermietung und Beteiligung an Spielbetrieben“.In Berlin hat der Mann aus dem Norden einen neuen Partner gefunden: einen Juwelier mit Geschäftsadresse am Kurfürstendamm. Gemeinsam haben sie festgestellt: Sozialimmobilien sind Juwelen, in der Kochstraße allemal. Auf der Website „Housetrip“ wird eine der Wohnungen für 141 Euro angeboten – pro Nacht. Da kommt im besten Fall in zehn Tagen so viel Geld zusammen, wie sonst durch die Wuchermiete nicht in einem Monat.

Vivien Brüllke hat sich an die „italienischen und spanischen Touristen“ in Nachbarwohnungen gewöhnt, deren wechselnde Bewohner sie von ihrem Fenster aus beobachten kann. Unter den verbliebenen regulären Mietern im Hause geht das Gerücht um, der Hauseigentümer wolle bis Februar alles in Ferienwohnungen umgewandelt haben. Auch dazu will die Hausverwaltung nichts sagen.

Eine ähnlich astronomische Mieterhöhung wie Vivien Brüllke hat die aus dem Libanon stammende Familie eine Etage über ihr erhalten. Zwölf Personen zählt der Haushalt, „die Kinder zwei Monate bis 20 Jahre alt“, sagt Franz Schulz (Grüne). An den Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg hat sich die Familie in ihrer Not gewandt. Schulz hat die Verwaltung angeschrieben, aber bisher noch keine Antwort bekommen. Auch die städtischen Wohnungsbaugesellschaften will der Bezirksbürgermeister anschreiben. Doch aus einem ähnlichen Fall, im „Fanny-Hensel-Kiez“, weiß er: „Viele der Betroffenen brauchen große Wohnungen und das zu günstigen Mieten, doch das gibt es kaum noch.“

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Um das Geschäft mit Sozialimmobilien zu stoppen, da ist sich der Bezirksbürgermeister sicher, brauche es ein Zweckentfremdungsverbot. „Doch die CDU will das verhindern“, sagt er. Dabei könne mit einer entsprechenden Verordnung auf einen Schlag der Abriss von günstigen Wohnungen aus den sechziger und siebziger Jahren, der spekulative Leerstand und eben auch die Umwandlung von Miet- in Ferienwohnungen verhindert werden, sagt Schulz.

Dem widerspricht Matthias Brauner. Er saß für die CDU bei den Koalitionsverhandlungen im Arbeitskreis Stadtentwicklung und Wohnungspolitik: „Das Verbot würde nicht greifen.“ Dennoch wollen sich CDU und SPD auf eine vage Formulierung im Koalitionsvertrag einigen, wonach geeignete Instrumente gegen die Umwandlung von Wohnraum in Ferienwohnungen geprüft werden, „zum Beispiel eine Zweckentfremdungsverordnung“. Brauner favorisiert einen anderen Ansatz zur Bekämpfung dieser neuen Spielart der Spekulation: Er will eine stärkere Kontrolle von Ferienwohnungen in Zusammenarbeit mit den Finanzämtern durchsetzen, weil so manche Einrichtung wohl auch keine Gewerbesteuer zahle.

Um den Streit mit der SPD auszuräumen, die ebenfalls ein Zweckentfremdungsverbot favorisiert, schieben die Koalitionäre in spe die Sache auf die lange Bank: Eine Arbeitsgruppe soll erst einmal prüfen, wie viele Häuser in welchen Quartieren überhaupt betroffen sind. Bis die eingesetzt ist, werden die Wohnhäuser in der Kochstraße fest in der Hand von Touristen sein.

Artikel im Tagesspiegel vom 16.11.2011