Berlin, den 9. Mai 2011

Der Senatsentwurf für ein Wohnraumgesetz Berlin (WoGBln) entpuppt sich für die Mieterinnen und Mieter der 28.000 Sozialwohnungen ohne Anschlussförderung als „trojanisches Pferd“: Träte dieses Gesetz tatsächlich in Kraft, würde sich die Situation der Mieterinnen und Mieter weiter dramatisch verschlechtern.

Zukünftig von drastischen Mietsteigerungen betroffene Mieterinnen und Mieter hätten nach einem Eigentümerwechsel (§ 4 WoGBln) keine Chance mehr, sich juristisch erfolgreich zu Wehr setzen zu können. Aus „Schach“ würde sofort „Schach matt“: Die Miete könnte vom bisherigen Eigentümer – rechtlich nicht angreifbar – auf die Kostenmiete (bis zu 21 €/qm) erhöht werden. Anschließend würde dieser Mietbetrag in das Vergleichsmietensystem hinüber gerettet. Da aus einem niedrigeren Mietspiegelwert kein Recht auf Mietsenkung abgeleitet werden kann, bedarf es zur Verdrängung der Bestandsmieterschaft  keiner weiteren Mieterhöhung. Diesen Umstand verheimlicht der Senat und suggeriert das Gegenteil.

Derzeit praktizieren Immobilienspekulanten folgendes, unserer Einschätzung nach gesetzwidriges Geschäftsmodell: Mieter sollen für Kosten bezahlen, die es überhaupt nicht mehr gibt. Da die Mieter hierzu nicht im Stande sind, verlieren sie ihre Wohnungen, welche dann – auch zu Lasten des Steuerzahlers – zweckentfremdet werden. Ein Beispiel hierfür stellen die Sozialwohnungen in der Kreuzberger Kochstraße 16-25 dar: Hier wird von den 32 Mietparteien verlangt, dass sie jährlich 237.000 € an Zinsen für Hypothekenkredite bezahlen sollen, die gar nicht mehr existieren. Die Investoren erwirtschaften durch diese „Luftbuchungen“ – dies räumt der Senat in einer Kleinen Anfrage eines Abgeordneten ein (Ds: 16/15029) – Renditen von über 50 %, obwohl das Gesetz (§§ 8, 8a WoBindG) nicht einmal ein Siebtel dessen (6,5 %) erlaubt.

Unter dem Motto „Stoppt die erfundenen Kostenmieten und verbotenen Millionenprofite!“ fordern wir den rot-roten Senat seit Monaten dazu auf, uns jahrelange Gerichtsprozesse zu ersparen und den gesetzwidrigen Buchungstricks der Vermieter schnell ein Ende zu bereiten. Dieser Forderung verschließt sich der Senat jedoch mit aller Vehemenz. Stattdessen legt die Senatorin Junge-Reyer (SPD) nun einen Gesetzentwurf vor, der nicht dem Schutz der Mieter dient, sondern dem Schutz der Immobilienspekulanten vor der Intervention durch die Justiz.

Für Immobilienspekulanten, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes Sozialwohnungen gekauft haben, hält der Senat ein besonderes Wahlgeschenk parat: § 11 WoGBln. Sofern die Investoren es wollen – und nur dann! – können sie jederzeit binnen Jahresfrist die ansonsten noch 30 Jahre andauernde Belegungsbindung beenden und in das Vergleichsmietensystem wechseln. Hieran werden die Investoren selbstverständlich nur dann ein Interesse haben, wenn der Mietspiegel (in Zukunft) den Betrag der Kostenmiete übersteigt und sie unter Aufgabe des Kostenmietensystems mehr verdienen können als mit diesem System. Sollten Mieter tatsächlich gerichtlich eine Verringerung der Kostenmiete erzwingen, so wäre dies ein Pyrrhussieg für sie: Ohne Gesetz wäre der Vermieter an diese korrigierte Kostenmiete noch bis zum Jahr 2040 gebunden. Doch mit der neuen Wahlmöglichkeit nach § 11 WoGBln stellt der Vermieter in diesem Fall eben sofort auf das Vergleichsmietensystem um und umgeht so die Idee des Sozialen Wohnungsbaus, für die der Steuerzahler Millionensubventionen aufgebracht hat.

Das vom Senat beschlossene Wohnraumgesetz dient also – anders als behauptet – nicht dem Mieterschutz sondern löst einseitig die Probleme von Immobilienspekulanten. Dies wirft die Frage auf, weshalb der Senat erneut massiv Partei für Investoren und gegen Mieter und Steuerzahler ergreift. Der Gesetzentwurf offenbart die tatsächliche Geisteshaltung des rot-roten Senats: Statt – wie behauptet – auf eine Begrenzung der Mieten zu setzen, wird ein steigendes Mietniveau und eine „Aufwertung“ der Innenstadt angestrebt. Es steht zu befürchten, dass durch das neue Wohnraumgesetz das Gegenteil dessen forciert wird, was der Senat vorgibt, angeblich eindämmen zu wollen: Ein Fortschreiten der „sozialen Entmischung“ der Innenstadt.

Pressemitteilung vom 09. Mai 2011