Petition und Offener Brief

der Sozialmieterinnen und Sozialmieter im Fanny-Hensel-Kiez

– hier der Mieterinnen und Mieter in der Schöneberger Straße 5, 5a, 6, 6a in 10963 Berlin –

an den Regierenden Bürgermeister
von Berlin

– zur Kenntnisnahme an alle Abgeordneten des Abgeordnetenhauses –

Offener Brief und dringliches Ersuchen zur Erteilung einer Sondergenehmigung zwecks Verlängerung der faktisch verstrichenen Antragsfristen nach Punkt 15, Abs. 3 der vom Berliner Senat erlassenen Mietausgleichsvorschriften 2007 für die Sozialwohnungen in der Schöneberger Straße 5, 5a, 6, 6a in 10963 Berlin

Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister von Berlin,
sehr geehrter Herr Wowereit!

Wir, Sozialmieter der Wohnanlage im Fanny-Hensel-Kiez, wenden uns an Sie mit dem dringenden Ersuchen,

zunächst für die Wohnungen in der Schöneberger Straße 5, 5a, 6, 6a in 10963 Berlin eine Sondergenehmigung gem. Punkt 15, Abs. 3 der Verwaltungsvorschriften über die Gewährung von Mietausgleich und Umzugskostenhilfe für vom Wegfall der Anschlussförderung betroffene Mieter im Sozialen Wohnungsbau 2007 (Mietausgleichsvorschriften 2007 – MietA-VV 2007, Amtsblatt für Berlin Nr. 4 vom 28.01.2007, Seite 143) zu verfügen, wonach

1.) Punkt 7 der MietA-VV 2007 sowie
2.) Punkt 11, Abs. 1, Satz 3 und Satz 4 der MietA-VV 2007

entweder aufgehoben oder die dort genannten Antragsfristen zumindest deutlich verlängert werden.

Wir möchten mit Nachdruck darauf hinweisen, dass nur durch eine Aussetzung bzw. Verlängerung der Antragsfristen für die Bewilligung der Mietausgleichszahlungen und der Umzugskostenhilfe für uns eine soziale Härte größten Ausmaßes wird verhindern können.

Die Bewilligung von Mietausgleichzahlungen ist von dringlicher Priorität, da eine zur vollkommenen Zerschlagung der über Jahre gewachsenen Kiez-Strukturen führende sofortige Vertreibung der Sozialmieter, mit der für einige von uns vielleicht sogar Obdachlosigkeit einhergehen könnte, einstweilig gestoppt werden muss.

Begründung unseres dringlichen Ersuchens:

Die Sozialwohnungen, die Gegenstand dieser Eingabe sind, sind im Rahmen der Internationalen Bauausstellung 1989 entstanden und im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg gelegen. Die Wohnanlage umfasst neben den Sozialwohnungen, für die hiermit die Erteilung der vorgenannten Sondergenehmigung erbeten wird und die in der Schöneberger Straße 5, 5a, 6, 6a gelegen sind auch die Sozialwohnungen in der Schöneberger Straße 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, am Hafenplatz 1, 2 und in der Dessauer Straße 22, 23, 23a, 25, 26, 26a in 10963 Berlin. Die Wohnanlage befindet sich in unmittelbarer Nähe zum Potsdamer Platz, also mitten im Zentrum der Stadt. Zu Planungs- und Bauzeiten handelte es sich um eine Mauerrandlage.

Die Wohnanlage befand sich in Gänze und befindet sich noch immer teilweise im Eigentum der R&W Immobilienanlagen GmbH, Dessauer Straße 28/29, 10963 Berlin, die als Treuhänderin und Hausverwaltung für drei Gesellschaften Bürgerlichen Rechts tätig war und teilweise auch noch ist. Die R&W Immobilienanlagen GmbH war darüber hinaus Initiatorin der drei Immobilienfonds der Wohnanlage.

Mit Schreiben vom 12.11.09 teilte uns die R&W Immobilienalgen GmbH mit, dass das Objekt in der Schöneberger Straße 5, 5a, 6, 6a zum 31.10.2009 an die Elfte emc esset management GmbH & Co. KG, Königsallee 44a, 14193 Berlin, verkauft worden sei.

Der Verkauf des Immobilienfonds, der die Sozialwohnungen in der Schöneberger Straße 7-13, Hafenplatz 1-2, Dessauer Straße 22-23a umfasst, steht nach unseren Informationen unmittelbar bevor. Der Immobilienfonds, der den Sozialwohnungen in der Dessauer Straße 25-26a zuzuordnen ist, wurde bereits vor etwa einem Jahr verkauft.

Der Bau des Objekts in der Schöneberger Straße 5, 5a, 6, 6a hat lt. Informationsbroschüre der Hausverwaltung im Jahr 1989 ca. 10,7 Millionen Euro gekostet. Im Rahmen eines nun mit dem vorgenannten Verkauf wohl obsolet
gewordenen Zwangsversteigerungsverfahrens – 30 K 49/09 – setzte das AG Tempelhof-Kreuzberg durch Beschluss vom 01.09.09 den Verkehrswert der Immobilie auf 2,41 Millionen Euro fest. Der Wert des Objekts beträgt somit nur noch rund ein Fünftel des ursprünglichen Investitionsvolumens.

Seit 2005 steht die gesamte Wohnanlage im Fokus der regelmäßigen Berichterstattung verschiedener Zeitungen und mehrerer Fernsehsender, wobei die Anlage als die „Schimmelhäuser von Kreuzberg“ bekannt geworden ist.

Ein im Juni 2006 vom Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg erstelltes Verzeichnis listet 90 der ursprünglich ca. 150 Mietparteien umfassenden Wohnanlage namentlich auf, die gegenüber dem Bezirksamt und/oder der sich gebildeten Mieterinitiative angegeben hatten, dass es in ihren Wohnungen regelmäßig zu Feuchtigkeits- und Schimmelpilzschäden kommt. Durch ein vom Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg 2005 in Auftrag gegebenes und vom Ingenieurbüro Axel C. Rahn, Rosenheimer Straße 20, 10779 Berlin am 22.02.06. vorgelegtes bauphysikalisches Sachverständigengutachten wurde für jede der fünf exemplarisch untersuchten Wohnungen als Ursache für die schweren Feuchtigkeits- und Schimmelpilzschäden gravierende Baumängel nachgewiesen. An dieser Stelle soll bemerkt werden, dass das vorgenannte Sachverständigenbüro zumindest berlinweit eine führende Stellung auf dem Gebiet der Wärmschutztechnik einnimmt; es ist u.a. mit Untersuchungs- bzw. Planungsarbeiten zum Gebäude des Bundespräsidialamtes und mit einer Konzeption der baulichen Maßnahmen zur Vermeidung von Tauwasser- und Schimmelpilzbildung für den Martin-Gropius-Bau betraut worden.

Im Jahr 2006 leitete das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg wegen der schweren Baumängel zwar ein Verwaltungsverfahren gegen die R&W Immobilienanlagen GmbH ein, zur Verfügung von behördlichen Auflagen oder zur Durchführung von Ersatzvornahmen durch das Bezirksamt kam es trotz intensiven Einforderns durch die Mieterschaft jedoch nicht. Am 27.04.07 schlossen der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und die R&W Immobilienanlagen GmbH vor dem Verwaltungsgericht Berlin einen Vergleich, wonach sich die Treuhänderin der Wohnanlage – vorbehaltlich der Zustimmung durch die Gesellschaften Bürgerlichen Rechts – zu
umfangreichen Sanierungsarbeiten verpflichtete. Dieser Vorbehalt wurde, wie es die Mieterinitiative befürchtete, nicht aufgelöst und die in einem Bauablaufplan konkretisierten Baumaßnahmen nicht realisiert.

Nach dem absehbaren Scheitern dieses Sanierungskonzepts lud der Bezirksbürgermeister aufgrund immer wieder im Rathaus vorstellig gewordener Bewohner der Wohnanlage die Mieterschaft und die R&W Immobilienanlagen
GmbH zu Gesprächen am „Runden Tisch“ ein, denen sich die Treuhänderin der Immobilienfonds jedoch kategorisch verweigerte.

Die immer wieder an das Bezirksamt gerichteten Appelle angesichts der untragbaren und gesundheitsbedrohlichen Zustände, doch endlich einzuschreiten und eine Sanierung der Bausubstanz zu erzwingen, verklangen, ohne dass sich an der Situation auch nur das geringste geändert hätte.

Von den 44 Wohnungen in der Schöneberger Straße 5-6a sind derzeit 31 bewohnt und 13 leerstehend.

Alle Wohnungen der gesamten Anlage unterliegen als Objekte des Sozialen Wohnungsbaus dem Wohnungsbindungsgesetz, einem Bundesgesetz, und sind vom Wegfall der Anschlussförderung betroffen. Für das Objekt in der Dessauer Straße 25-26a endete die Grundförderung am 31.08.04. Für die Schöneberger Straße 7-13, Hafenplatz 1-2, Dessauer Straße 22-23a lief die Grundförderung am 31.10.04 aus. Für die Sozialwohnungen in der Schöneberger Straße 5-6a endete die Grundförderung am 31.01.05.

In unserem Fall beträgt die mittlere ortsübliche Vergleichsmiete – bezogen auf Wohnungen mit einer Wohnfläche zwischen 60 und 90 qm – derzeit 7,04 €/qm. Die derzeitige Kostenmiete beläuft sich im Fall der Schöneberger Straße 5-6a auf 13,02 €/qm und liegt damit um 85 % höher als die mittlere ortsübliche Vergleichsmiete.

Die Ursache dieser Diskrepanz liege darin – so der mit dieser Angelegenheit betraute Assessor des Berliner Mietervereins e.V. gegenüber der Presse -, dass sich zum Zeitpunkt der Errichtung der Gebäude eine „Baumafia“ habe etablieren können, die es verstanden habe, sich die besonderen Verhältnisse des Westteils der Stadt zur Vorwendezeit zu nutze zu machen.

Im Frühjahr 2003 beschloss der von Ihnen geführte Berliner Senat, sehr geehrter Herr Wowereit, der bekanntlich aus der Koalition der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und – zum damaligen Zeitpunkt – der Partei des Demokratischen Sozialismus gebildet wurde, aus der Förderung des Sozialen Wohnungsbaus auszusteigen.

Auch nach dem Ende der Grundförderung gelten die Gebäude weiterhin als „öffentlich gefördert“ – jedoch mit der Konsequenz, dass nun jederzeit und ohne die ansonsten für Mietverhältnisse geltenden Schutzbestimmungen einhalten zu müssen, die Kaltmiete „in einem Schlag“ bis zum Niveau der Kostenmiete angehoben werden darf. Bei gültiger Gleitklausel, wie hier gegeben, darf die Kostenmiete sogar rückwirkend bis zu 23 Monaten verlangt werden.

Von dieser Möglichkeit hat die neue Eigentümerin nun tatsächlich sofort Gebrauch gemacht:

Bis einschließlich November 2009 betrug die Kaltmiete in der Schöneberger Straße 5-6a 5,33 €/qm. Mit Schreiben vom 12.11.09 erklärte die von der neuen Eigentümerin erneut mit der Hausverwaltung betreute R&W Immobilienanlagen GmbH, dass ab dem 01.12.09 eine Erhöhung der Kaltmiete auf – je nach Wohnung – 7,04 €/qm bis 7,42 €/qm geltend gemacht werde. Bei den über die mittlere ortsübliche Vergleichsmiete von 7,04 € hinausgehenden Forderungen wurde allerdings Mietverzicht zugebilligt, so dass quasi von einem einheitlich angestrebten Mietniveau von eben diesen 7,04 € ausgegangen werden kann. Dies stellt eine im sonstigen Mietrecht absolut unzulässige Erhöhung der Kaltmiete um 32 % dar.

Mit Schreiben vom 12.11.09 und 23.11.09 behielt sich die neue Eigentümerin ausdrücklich vor, die Miete weiter bis auf das Niveau der Kostenmiete (13,02 €) zu erhöhen.

Das Mieterhöhungsverlangen vom 12.11.09 wurde mangels Vorlage einer Originalvollmacht nach § 174 BGB anwaltlich zurückgewiesen, worauf mit Schreiben vom 23.11.09 ein neues Mieterhöhungsverlangen geltend gemacht
wurde. Mangels unzureichender Bevollmächtigung wurde auch dieses Ansinnen anwaltlich gem. § 174 BGB zurückgewiesen. Durch Schreiben vom 08.12.09 wurden die beiden bisherigen Mieterhöhungserklärungen zurückgenommen.

Auf telefonische Anfrage wurde unserem Nachbarn und Mitstreiter, Herrn Sebastian Jung, Schöneberger Straße 6a, mitgeteilt, dass derzeit ein neues Mieterhöhungsschreiben vorbereitet werde, das uns in allernächster Zeit zugestellt werde. Allerdings könne es sein, dass man sich jetzt nicht mehr mit einer Mietforderung von 7,04 €/qm zufrieden gebe und stattdessen die Forderung weiter – z.B. auf 7,47 €/qm – erhöhe.

Anhand folgenden Beispiels möchten wir aufzeigen, welches Mieterhöhungsverlangen gem. Wohnungsbindungsgesetz statthaft ist:

Gehen wir von einer 100 qm-Wohnung in unserem Haus aus. Bisher betrug die Kaltmiete hierfür 533 € (5,33 €/qm * 100 qm). Durch die gültige Gleitklausel ist eine rückwirkende Mieterhöhung bis zu 23 Monaten möglich. Da eine Miete von 5,33 €/qm ja bereits in den zurückliegenden Monaten entrichtet worden ist, wird „nur noch“ der Differenzbetrag zur Kostenmiete, nämlich 7,69 €/qm, fällig. Dies ist eine Forderung in Höhe von 17.687 € (7,69 €/qm * 100 qm * 23). Hinzu kommt die Mietforderung für den zukünftigen Monat in Höhe von 1.302 €. Dies ergibt eine – nach dem WoBindG rechtlich zulässige – Gesamtforderung in Höhe von 18.989 €. Dies ist eine Mieterhöhung um 3.562 %.

Da die Kostenmiete variabel ist und einen Maximalbetrag von 21,65 €/qm annehmen kann, ist im Falle eines Ausgangsmietniveaus von 5,33 €/qm sogar eine Mieterhöhung auf 39.701 € rechtlich zulässig, was einer Mieterhöhung um mehr als 7.400 % entspricht.

Zwar kann durch den Mieter mit jedem Mieterhöhungsverlangen gem. § 11 WoBindG die Sonderkündigung des Mietverhältnisses erklärt werden, so dass diese Forderung keine Wirksamkeit erlangt. Dies bedeutet aber auch, dass mit Ablauf des nächsten – und nicht wie sonst üblich des übernächsten – Monats, der auf den Monat folgt, von dem an die Miete erhöht werden soll, die Räumung der Wohnung abgeschlossen, ggf. Schönheitsreparaturen durchgeführt und die Mietsache an den Vermieter zurückgegeben sein müssen.

Zusammengefasst heißt das, dass zwar die gigantischen Forderungen der Vermieterin umgangen werden können, die Wohnung jedoch innerhalb von zwei Monaten, also praktisch sofort – denn es ist ja vollkommen unvorhersehbar, wann eine solche Mieterhöhung geltend gemacht wird – verlassen werden muss. Dies empfinden wir als glatten, vom Gesetz gedeckten, sofortigen und unabwendbaren „Rauswurf“ aus unseren Wohnungen!

Der von Ihnen geführte Berliner Senat, sehr geehrter Herr Wowereit, hat zur Abfederung sozialer Härten, „Verwaltungsvorschriften über die Gewährung von Mietausgleich und Umzugskostenhilfe für vom Wegfall der Anschlussförderung betroffene Mieter im Sozialen Wohnungsbau 2007“ (ABl. 2007, Seite 143) beschlossen.

Die Gewährung von Mietausgleichszahlungen durch die Investitionsbank Berlin würde bedeuten, dass – sofern das Einkommen nicht zu hoch ist – im ersten Jahr nach der Bewilligung bis zu 90 % der Mieterhöhungsdifferenz zwischen der bisherigen Kaltmiete und der neu erhöhten Kaltmiete durch die IBB kompensiert würde. Allerdings dürfte die zur Berechnung der Kompensationsleistung zu Grunde gelegte neue Kaltmiete einen Maximalwert in Höhe des Mittelwerts der ortsüblichen Vergleichsmiete – bezogen auf Wohnungen mit einer Wohnfläche zwischen 60 und 90 qm – nicht überschreiten. Alles, was darüber hinaus geht, würde unberücksichtigt bleiben. Über einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren würde dann die Kompensationsleistung sukzessive abgebaut, bis nach fünf Jahren keine Mietausgleichszahlungen mehr von der Investitionsbank Berlin geleistet würden.

Wenn die neue Eigentümerin bei dem nächsten, unmittelbar bevorstehenden Mieterhöhungsverlangen wieder eine Mieterhöhung in der maximal förderungsfähigen Höhe von 7,04 €/qm aussprechen sollte – so wie sie es bisher
mit Schreiben vom 12.11.09 und 23.11.09 versucht hat, geltend zu machen und für die es plausible Gründe gibt – so würde von der IBB von der Mietdifferenz zwischen alter und neuer Kaltmiete in Höhe von 1,71 €/qm im ersten Jahr nach der Bewilligung der Mietausgleichszahlungen bis zu 1,54 €/qm, also bis zu 90 %, kompensiert werden. Dies wäre für uns eine wirksame Hilfe, denn wir hätten in diesem Fall im ersten Jahr lediglich einen Eigenanteil von 0,17 €/qm, also nur 10 % der Mietdifferenz, aufzubringen.

Wenn ein Verbleib in der bisherigen Wohnung aufgrund einer unbezahlbaren Mieterhöhung ausscheidet, lässt sich ein Umzug nicht mehr vermeiden. Die Kosten, die durch einen Umzug zwangsläufig entstehen, gehen an die Grenze dessen oder sogar deutlich darüber hinaus, was wir Sozialmieter aufzubringen im Stande sind.

Durch den im Jahr 2003 gefassten Beschluss des von Ihnen, sehr geehrter Herr Wowereit, geführten Berliner Senats, aus der Anschlussförderung des Sozialen Wohnungsbaus auszusteigen, ergibt sich für uns folgende Konsequenz:

Ohne Härtefallregelung würden – wie im Schreiben vom 12.11.09 und 23.11.09 von der neuen Eigentümerin angekündigt – von uns monatliche Mietsteigerungen von teilweise über 200 € abverlangt.

Die meisten von uns wären selbstverständlich nicht in der Lage, diesen Mehrbetrag monatlich aufzutreiben und müssten – trotz teilweise vielleicht drohender Obdachlosigkeit – sofort ihre Wohnungen verlassen. Die über Jahre gewachsenen Sozialstrukturen der Wohnanlage würden binnen kürzester Zeit zerschlagen – Auswirkungen auf die nahe gelegene Kita und die Fanny-Hensel-Grundschule wären wohl unausweichlich. Neben dem Verlust unserer Wohnungen und des persönlichen Umfeldes wären wir aufgrund der unabwendbaren Umzugskosten außerdem noch einer enormen finanziellen Härte und ggf. sogar einer existenziellen Belastungsprobe mit potentiellem Risiko zur Verschuldung schutzlos ausgesetzt.

Würde die vom Berliner Senat geschaffene Härtefallregelung zur Anwendung kommen, so müssten die Mieter, die derzeit konkret mit Mieterhöhungsforderungen von monatlich 200 € bedroht werden, im ersten Jahr nur 20 € (10 %) selbst aufbringen. Dies ließe sich sicherlich bewerkstelligen.

Um die finanzielle Härte aufgrund eines Umzugs abzufedern, sehen die o.g. Verwaltungsvorschriften außerdem vor, dass die IBB Umzugskostenhilfe in Höhe von 1500 € bis maximal 3500 € gewähren könnte. Somit wären zumindest eine die Grundfeste der Haushaltskasse erschütternde Finanzkrise und das hiermit einhergehende potentielle Risiko zur Verschuldung für viele von uns abgewendet.

Damit es nicht aufgrund der von Ihnen getroffenen Entscheidung zur sozialen Katastrophe für uns Sozialmieter kommt, bedarf es Ihres dringenden korrigierenden Eingriffs, sehr geehrter Herr Wowereit!

Dies hat folgende Bewandtnis:

Eine reguläre Gewährung von Mietausgleichszahlungen durch die Investitionsbank Berlin scheidet in unserem Fall aus, da hierfür bis spätestens zum 31.01.08 eine Mieterhöhung hätte ausgesprochen und ein Antrag auf Gewährung der Mietausgleichszahlungen hätte gestellt werden müssen. Dies war jedoch nicht der Fall.

Umzugskostenhilfen können seitens der IBB auf regulärem Wege ebenfalls nicht mehr bewilligt werden, da absehbar ist, dass die Frist zur Antragstellung nicht mehr ausreichend – also faktisch verstrichen – ist. Ferner ist für einen – voraussichtlich kleinen – Teil der Mieterschaft die Antragsfrist zur Bewilligung von Umzugskostenhilfe nach Punkt 11, Abs. 1, Satz 4 der MietA-VV 2007 ohnehin seit Mitte 2007 abgelaufen.

Bei einer etwaigen alleinigen Bewilligung von Umzugskostenhilfe bei gleichzeitigem Versagen von Mietausgleichszahlungen würde das Problem bestehen bleiben, dass der Auszug und die Räumung sowie ggf. die Durchführung von Schönheitsreparaturen binnen ZWEIER Monate (vgl. hierzu § 11 WoBindG) und unabhängig davon, ob neuer Wohnraum gefunden worden ist oder nicht, abgeschlossen sein müsste. Für eine intensivere Wohnungssuche bliebe definitiv keine Zeit. Dies wäre auch deshalb zutiefst unsozial, da hierbei persönliche Härten überhaupt keine Rolle spielen würden.

Außerdem würden die über Jahre gewachsenen Sozialstrukturen – für dessen Aufbau an anderer Stelle teilweise immense Finanzmittel aufgewendet werden – und das im Kiez verwirklichte Stück Integration umgehend zerschlagen. Wir können uns nicht vorstellen, dass der Berliner Senat hieran Interesse haben könnte.

Ferner wären Familien, die ALG II- Leistungen empfangen, gezwungen, in Randlagen der Stadt zu ziehen, da die Miete für ausreichend große Wohnungen meist nur hier dem vom JobCenter vorgebenden Kostenrahmen entspricht. Die Vertreibung aus dem gesamten persönlichen Umfeld würde als vom Berliner Senat gebilligte Diskriminierung empfunden werden.

Die verstrichene Antragsfrist zur Gewährung von Mietausgleichszahlungen und Umzugskostenhilfe kann nur durch eine Ausnahmegenehmigung nach Punkt 15 Abs. 3 der Mietausgleichsvorschriften 2007 „geheilt“, d.h. ausgesetzt oder verlängert werden, wozu es der Einwilligung des von Ihnen geführten Berliner Senats bedarf. Hierzu möchten wir Sie, sehr geehrter Herr Wowereit, dringend ersuchen.

Der Berliner Mieterverein e.V. unterstützt unser Ersuchen. In der Presserklärung 16/09 vom 02.12.09 wird hierzu ausdrücklich aufgefordert.

Würden Mietausgleichszahlungen und Umzugskostenhilfen bewilligt, so hätten viele von uns, die sich einen dauerhaften Verbleib in der Wohnanlage nicht leisten können, wenigstens die Möglichkeit, unter würdigen Umständen und ohne zeitlichen Druck eine neue Bleibe zu suchen. So könnte wenigstens vermieden werden, dass viele von uns faktisch von heute auf morgen „auf die Straße gesetzt“ werden. So könnte sowohl potentieller Obdachlosigkeit als auch finanzieller Verschuldung für viele sozial schwache Familien gerade jetzt im Winter vorgebeugt werden.

Wir bitten Sie, sehr geehrter Herr Wowereit, bei Ihrer Entscheidungsfindung folgendes zu bedenken:

Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat – wie oben geschildert – hinsichtlich der durch den Schimmelpilzbefall hervorgerufenen und unsere Gesundheit erheblich beeinträchtigenden Situation über vier Jahre hinweg ein halbherziges Verwaltungsverfahren gegen die Eigentümerin der Immobilie betrieben. Letztlich hat es das Bezirksamt trotz aller Appelle aus der Mieterschaft vermieden, durch bautechnische Ersatzvornahmen tatsächlich Abhilfe zu schaffen. Auch wurde seitens des Bezirks kein angemessener Ersatzwohnraum angeboten. Das sich über viele Jahre erstreckende und dennoch letztlich ergebnislos verlaufende Verwaltungsverfahren sowie die sich über fast ein halbes Jahrzehnt in den Medien hinziehende Negativpresse haben zu einer ganz erheblichen Verschleppung des Verkaufs des Objekts in der Schöneberger Straße 5-6a geführt.

Die Folge hiervon ist, dass es nun zur regulären Antragstellung für die Bewilligung von Mietausgleichszahlungen und zur Gewährung von Umzugskostenhilfe zu spät ist. Die als „Schimmelhäuser“ bekannte Wohnanlage an der Schöneberger Straße ist daher als Sonderfall anzusehen und birgt für den Haushalt des Landes Berlin sicherlich keine unkalkulierbaren Risiken.

Abschließend möchten wir auf den für uns gänzlich unverständlichen und unsere prekäre Situation erst ermöglichen Umstand hinweisen, dass das Land Berlin die Vermieter durch entsprechende Sondergenehmigung bis zum 31.12.11 von der Belegungsbindung freigestellt hat.

Wir konstatieren daher:

  1. Der Berliner Senat hat durch den Beschluss zum kompromisslosen Ausstieg aus der Anschlussförderung die Möglichkeit für die Vermieter geschaffen, Mieterhöhungen in praktisch unbegrenzter Höhe von den Sozialmietern abzuverlangen und hierdurch den sofortigen Leerzug von Sozialbauten zu erzwingen.
  2. Darüber hinaus hat der Berliner Senat die Vermieter durch Erteilung einer Sondergenehmigung zur Freistellung von der Belegungsbindung zusätzlich in die Lage versetzt, dass eine komplette Vertreibung der
    Mieterschaft in wirtschaftlicher Hinsicht überhaupt erst Sinn macht. Erst durch die Erteilung dieser Sondergenehmigung dürfen wohlhabende Mieter, die wesentlich höhere Mieten zu zahlen bereit sind, in die durch
    Leerzug freigewordenen und eigentlich den Sozialmietern vorbehaltenen Wohnungen einziehen.

Dies hat zur direkten Konsequenz, dass es zu einer für die Vermieter sehr lukrativen und für die Betroffenen mit einer extremen sozialen Härte verbundenen aktiven Verdrängung der Sozialmieter aus den Gebäuden des Sozialen Wohnungsbaus kommt, in die dann eine wohlhabende Mieterschaft nachzieht.

Dies stellt das Wohnungsbindungsgesetz, das eigentlich dem Schutz der Sozialmieter und nicht zu deren Vertreibung dienen soll, vollkommen auf den Kopf. In rechtlicher Hinsicht bezweifeln wir, dass diese Praxis in letzter Konsequenz tatsächlich zulässig und mit dem Grundgesetz vereinbar sein soll.

Das Schaffen der rechtlichen Möglichkeiten, dass eine Vertreibung der Sozialmieter aus den Gebäuden des Sozialen Wohnungsbaus für Investoren erst lukrativ macht, ist zumindest über jeden Zweifel erhaben zutiefst unsozial.

Denn gäbe es die den Vermietern erteilte Sondergenehmigung nicht, so käme es sicherlich auch nicht zu derartig hohen Mietpreissteigerungen. Der wirtschaftliche „Selbsterhaltungstrieb“ der Vermieter würde schlicht verhindern, die Mieten derart anzuheben, da andernfalls die Sozialmieter die Wohnungen verlassen würden, wodurch überhaupt keine Mieten mehr eingenommen werden könnten.

Wir möchten Sie bitten, für mögliche Rückfragen oder zur Veranlassung von weitergehenden Gesprächen, zu denen wir hiermit freundlichst auffordern, sich mit unserem Nachbarn, Herr Sebastian Jung, Schöneberger Straße 6a, 10963 Berlin, Mobilfunk 0179-1379353, in Verbindung zu setzen.

Mit freundlichen Grüßen
Die unterzeichnenden Sozialmieterinnen und Sozialmieter
in der Schöneberger Straße 5, 5a, 6, 6a

 

Petition I an Regierenden Bürgermeister vom 17. Dezember 2009 pdf