03.11.2011 | von Ulrich Paul

Mieterhöhungen

„Das kann ich nicht bezahlen“

Berlin – Immer mehr Mieter leiden unter dem Förderstopp für Sozialwohnungen, weil ihre Vermieter die Preise drastisch erhöhen.

Der 70-jährige Manfred Otto konnte es zunächst gar nicht glauben. Sein Vermieter kündigte ihm per Brief an, dass die Kaltmiete für seine knapp 64 Quadratmeter große Wohnung in der Greifenhagener Straße in Prenzlauer Berg von 384 auf 605 Euro erhöht werden soll. Eine Steigerung um mehr als 50 Prozent. „Ich dachte, es ist nicht wahr“, sagt der Rentner. Schließlich wohnt er in einer Sozialwohnung. Doch das Schreiben war ernst gemeint.

Das Haus, in dem Manfred Otto wohnt, wurde 1996 bezugsfertig. 15 Jahre lang subventionierte das Land Berlin die Miete auf ein bezahlbares Niveau von zuletzt 6,13 Euro (kalt) je Quadratmeter. Doch zum 1. Oktober fiel die Förderung weg. Seitdem kann der Vermieter den Bewohnern die sogenannte Kostenmiete, in der alle Ausgaben für den Bau der Wohnung enthalten sind, in Rechnung stellen. Und das macht er, zumindest bei einem Teil der Mieter. Die Kostenmiete beläuft sich auf etwa zehn Euro (kalt) je Quadratmeter.

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Dass Preisexplosionen wie in der Greifenhagener Straße möglich sind, ist Folge einer Senatsentscheidung aus dem Jahr 2003. Die rot-rote Landesregierung entschied damals, dass ab dem 1. Januar 2003 nach Ablauf der ersten 15-jährigen Förderung von Sozialwohnungen keine Anschlussförderung über weitere 15 Jahre gezahlt wird, wie es bis dahin üblich war. Dadurch soll der Landes-Haushalt entlastet werden. Rund 28.000 Wohnungen, deren Bau seit 1985 bewilligt wurde, sind von dem Förderstopp betroffen. Für sie läuft bis 2016 nach und nach die Förderung aus. Bis Ende 2010 wurde die Förderung für rund 19.000 Wohnungen eingestellt.

Nicht nur die Mieter, auch die Eigentümer der Sozialwohnungen trifft der Förderstopp hart. Sie haben ihre Finanzierung auf eine 30-jährige Förderung ausgerichtet. Viele sind ohne die Zahlungen pleitegegangen. Bis Ende 2010 meldeten die Eigentümer von 167 Wohnobjekten Insolvenz an.

Empfehlung zum Rauswurf

Clevere Geschäftsleute haben inzwischen erkannt, dass sich an den Sozialwohnungen gut verdienen lässt – wenn sie denn in einem begehrten Wohnquartier liegen. Wohnungen wie in der Greifenhagener Straße in Prenzlauer Berg lassen sich inzwischen locker für mehr als 10 Euro je Quadratmeter neu vermieten – oder teuer verkaufen. Vorher müssen die alten Mieter nur zum Auszug gedrängt werden. Um das zu erreichen, nutzen die Eigentümer die Möglichkeiten, die sich nach dem Auslaufen der Wohnungsbauförderung bieten. So empfahl ein auf den sozialen Wohnungsbau spezialisierter Berliner Unternehmer im vergangenen Jahr bei einer Informationsveranstaltung für Immobilienleute den Erwerbern von Sozialwohnungen, „die Mieten sofort deutlich über das Marktniveau“ anzuheben, „um einen Wohnungsleerstand gezielt herbeizuführen“.

Bei guten Lagen biete es sich an, „die leeren Wohnungen aufzuhübschen und dann an eine gehobene Mieterklientel zu vermieten oder an Eigennutzer zu verkaufen“. Zwar könne dem Mieter rechtlich „wegen umfangreicher Sondervorschriften nicht gekündigt werden“, räumte der Unternehmer laut einem der Berliner Zeitung vorliegenden Redemanuskript ein. „Tatsächlich läuft dieser Schutz jedoch ins Leere, wenn der Eigentümer die Kostenmiete verlangen kann, die deutlich über der Marktmiete die Zahlungsfähigkeit des Mieters bei weitem übersteigt“, führte der Experte aus. Eine Anleitung dazu, wie Vermieter ihre Bewohner loswerden können. Wenig sozial, aber legal.

Nicht nur in der Greifenhagener Straße sind Bewohner von massiven Mietsteigerungen betroffen, auch im Fanny-Hensel-Kiez nahe dem Potsdamer Platz. Für den 44-Jährigen Naim Ashour, der mit seiner Frau und sechs Kindern in einer Vier-Zimmer-Wohnung lebt, erhöhte sich die Warmmiete von rund 690 Euro im Februar 2010 in mehreren Schritten auf nunmehr 1.345 Euro. Besonders hart traf es Mietersprecher Sebastian Jung aus dem Fanny-Hensel-Kiez. Die Warmmiete für seine 50 Quadratmeter große Wohnung stieg zunächst von 430 auf 520 Euro, dann auf 834 Euro, nachdem er sich für die Bewohner eingesetzt hatte. Doch nicht nur Sozialmieter in der City sind von den extremen Mietsteigerungen nach Wegfall der Förderung betroffen. Eine Mieterin in Karow soll ab 1. Januar kommenden Jahres statt bisher 469,09 Euro künftig 1.097,55 Euro zahlen. Sie solle sich eine neue Wohnung suchen, empfahl ein Mitarbeiter der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung der Frau.

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Rund 900 Millionen Euro könnten im besten Fall durch den Ausstieg aus der Wohnungsbauförderung eingespart werden, hat eine Expertenkommission im Jahr 2003 geschätzt – im schlechtesten Fall sollen es 102 Millionen Euro sein. Derzeit sieht alles danach aus, als wenn sich allenfalls ein geringer Spareffekt verbuchen lässt. Unterm Strich steht zurzeit nach Angaben der Finanzverwaltung ein Plus von 118,4 Millionen Euro.

Niedrigere Preise gefordert

Mit dem neuen Wohnraumgesetz, das im Juli in Kraft getreten ist, versucht der Senat der Geschäftemacherei mit den Sozialwohnungen etwas entgegen zu setzen. Nach einem Verkauf von Sozialwohnungen darf der neue Eigentümer künftig nicht mehr die alte Kostenmiete verlangen, sondern muss sich an den Mietspiegel halten. Das Problem: Wenn die Sozialwohnungen nicht verkauft werden, darf der Eigentümer weiterhin die hohe Kostenmiete verlangen. Und die liegt oftmals weit über zehn Euro je Quadratmeter. Das Wohnraumgesetz sei deswegen keine wirkliche Hilfe, sagt Reiner Wild, der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins. Er fordert, dass der Senat eine Miete für die Sozialwohnungen festlegt, die nicht überschritten werden darf. Diese Miete müsse mindestens zehn Prozent unter der ortsüblichen Miete des freien Marktes liegen. Sebastian Jung hat noch einen anderen Vorschlag. Er fordert eine Verordnung, wonach auch die Eigentümer der bisher verkauften Sozialwohnungen nicht mehr die exorbitant hohen Kostenmieten aus der Bauzeit in Ansatz bringen dürfen, sondern nur jene Kosten, die beim Erwerb angefallen sind. Die lägen in der Regel deutlich niedriger. Manfred Otto hofft derweil einfach nur, dass er seine Wohnung behalten darf. „Die können uns doch nicht rausschmeißen“, sagt er.

Artikel in der Berliner Zeitung vom 03.11.2011