20.08.2011 | von Mathias Behnis und Benedict Ugarte Chacón

Die Überflüssigen

Hintergrund. Harmlos, farblos und immer treu zur SPD. Zehn Jahre Regierungsbeteiligung der Linkspartei in Berlin – eine unvollständige Bilanz des Scheiterns

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Ähnlich verhält es sich mit dem Ausstieg aus der Anschlußförderung für den sozialen Wohnungsbau im Jahr 2003. Eigentlich war dies ein längst überfälliger Schritt, denn das spezielle Westberliner Förderungssystem spülte den privaten Erbauern von Sozialwohnungen Milliarden an öffentlichen Geldern in die Tasche. Die Mieter zahlen nach diesem System nur einen geringen Teil der Miete, die für die Finanzierung der Wohnung tatsächlich nötig wäre. Der Großteil dieser Kostenmiete wurde aus öffentlichen Mitteln beglichen. In der ersten Stufe für die Dauer von 15 Jahren (Grundförderung) und im Anschluß für weitere 15 Jahre (Anschlußförderung). Die absurde Folge war, daß ein privates Bauvorhaben im sozialen Wohnungsbau sich finanziell selbst trug und die Anleger, die ihr Geld in wohnungsbauende Abschreibungsgesellschaften investierten, enorme Steuererleichterungen für sich verbuchen konnten. Die Eigentümer dieser Sozialwohnungen kalkulierten oft von vornherein die Anschlußförderung mit ein, obwohl dafür eigentlich keine Verpflichtung Berlins bestand– gewährt wurde sie stillschweigend jedoch bis 2003. Den Ausstieg aus der Förderung begründete der Senat mit enormen Sparpoten­tialen, die sich daraus ergäben.

Problematisch ist dabei allerdings, daß sich »Rot-Rot« 2003 keinerlei Gedanken darüber machte, was passiert, wenn ein Eigentümer wegen des Wegfalls der einkalkulierten Förderung pleite geht und die Zwangsversteigerung der Wohnungen droht. Und vor allem, was mit den Mietern passieren soll, die ursprünglich Sozialmieten zu zahlen hatten und denen nun horrende Mieterhöhungen ins Haus stehen. Denn mit dem Ende der Förderung wurde den Eigentümern erlaubt, die tatsächliche Kostenmiete zu verlangen. Daß diese unbedachte Sparpolitik drastische Auswirkungen für betroffene Mieter haben kann, zeigen zum Beispiel die Vorgänge um den »Fanny-Hensel-Kiez« in Kreuzberg.

Als die von »Rot-Rot« mitverursachte Mietenproblematik immer offener zutage trat, machte die Linke keine besonders gute Figur. Zaghaft probte sie für die Medien den koali­tionsinternen Aufstand, ließ sich dann aber wie so oft nach »intensiven Verhandlungen mit der SPD« wieder auf Linie bringen und stimmte einem leicht veränderten SPD-Entwurf zu einem neuen Wohnraumgesetz zu, das die betroffenen Mieter mit einer Härtefallregelung und neuen Übergangsfristen schützen soll. Von betroffenen Mietern wird das Gesetz scharf kritisiert. Aus Sicht des »Bündnis Sozialmieter« bringt das Wohnraumgesetz nur eine einzige Verbesserung: »Anstatt wie bisher in nur zehn Wochen mit dem Umzug fertig sein zu müssen, können sich die Betroffenen für das Kofferpacken jetzt sechs Monate Zeit lassen.«

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Artikel in der jungen Welt vom 20.08.2011