10.05.2011 | David Stein

»Rot-Rot« hat es eilig

Abschied vom sozialen Wohnungsbau: Der SPD/Linke-Senat in Berlin will im Schnellverfahren neues Gesetz durchs Parlament bringen

Die Förderung des sozialen Wohnungsbaus im alten Westberlin seit den 1970er Jahren ist Ursache für einen bedeutenden Teil des Schuldenbergs, den die öffentlichen Haushalte zu stemmen haben. Um die teils drastischen Mieterhöhungen, die sich im Zuge des Ausstiegs aus dem kostspieligen System vor knapp sieben Jahren für die privaten Haushalte ergeben haben, zu stoppen, hat die Landesregierung nun ein Wohnraumgesetz (WoG) vorgelegt, das diese Entwicklung beenden soll.

[…]

Nach Darstellung von Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) schaffe der Senat mit dem Vorhaben eine Win-Win-Situation. Sowohl die Mieter als auch die Hausbesitzer würden entlastet.

[…]

Die Gesetzesvorlage wird am kommenden Donnerstag in erster Lesung vom Abgeordnetenhaus beraten. Zwar ist der Ausstieg aus dem Fördersystem allgemein begrüßt worden. Doch hat der SPD/Linke-Senat das Szenario sozialverträglich organisiert? Nein, sagen die Betroffenen. »Wird das Gesetz tatsächlich beschlossen, würde sich die Situation der Mieterinnen und Mieter in den 28000 Sozialwohnungen ohne Anschlußförderung weiter dramatisch verschlechtern«, warnte Sebastian Jung am Montag vor der Presse im Rathaus Kreuzberg. Das Gesetz habe, anders als vom Senat behauptet, nicht den Schutz der Mieter vor Mietsteigerungen zum Ziel, sondern soll dem Schutz von Investoren vor einer Intervention durch die Justiz dienen, so der Sprecher vom »Berliner Bündnis Sozialmieter«. Das Papier offenbare die tatsächliche Geisteshaltung des »rot-roten« Senats. Statt auf eine Begrenzung der Mieten zu setzen, werde ein steigendes Mietniveau und eine Aufwertung der Innenstadt angestrebt und dadurch ein Fortschreiten der sozialen Entmischung der Innenstadt forciert, so Jung. Kritik äußerte auch der Berliner Mieterverein. »Dieser Gesetzentwurf berücksichtigt nicht die schon geleistete milliardenschwere Förderung«, so Geschäftsführer Reiner Wild. »Dem Entwurf fehlt das längst erforderliche Mietenkonzept. Zudem wird der weitere Verlust von Belegungsbindungen, die in der jetzigen Wohnungsmarktsituation so dringend benötigt werden, zugunsten der Vermieter ermöglicht.«

Entwickelt der Senat kein zukunftsweisendes Konzept, brechen auch für die Mieter der übrigen 135000 Sozialwohnungen unsichere Zeiten an. Die Mieten werden dort laut Mieterverein pro Jahr um den entsprechenden Förderabbau erhöht. Vor dem Bauausschuß am vergangenen Mittwoch hatte Stadtentwicklungssenatorin Junge-Reyer darüber hinaus erklärt, daß es kein Konzept mehr geben werde, mit dem in der Vergangenheit die Mieterhöhungen in bestimmten Siedlungen oder Wohnlagen bei Maximalbeträgen gekappt wurden. Deshalb seien für rund 60000 Sozialwohnungen erneut Mietsteigerungen zu erwarten. Um diese Entwicklung zu verhindern, forderte der Mieterverein eine Richtsatzmiete, die ein Abstandsgebot in Höhe von bis zu 20 Prozent zur ortsüblichen Vergleichsmiete beinhaltet. Dies solle auch im Falle von Wiedervermietungen gelten.

Franz Schulz, Bezirksbürgermeister von Friedrichshain/Kreuzberg forderte die »rot-rote« Koalition auf, die städtischen Wohnungsbaugesellschaften unverzüglich anzuweisen, preisgünstigen Wohnraum für die Mieter zur Verfügung zu stellen, die aus Kostengründen ihre Wohnung verlassen müßten.

»Rot-Rot« hat es eilig
Artikel in der jungen Welt vom 10.05.2011