Freitag, 4. März 2011  – Von Christina Brüning und Wolf-Hendrik Müllenberg

In Berlin herrscht keine Wohnungsnot

Einem aktuellen Report der GSW Immobilien AG zufolge gibt es in Berlin genug Wohnungen. Die werden aber deutlich teurer. Auch im sozialen Wohnungsbau gibt es Mieterhöhungen von bis zu 800 Euro – weil die staatliche Förderung ausläuft.

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MIETERHÖHUNG UM FAST 800 EURO

Welche Folgen der rasante Preisanstieg für Mieter haben kann, hat Atta Kader am 11. Februar gespürt. An diesem Tag fand der gebürtige Iraker ein Schreiben der „Claus Hausverwaltung“ im Briefkasten: Für seine 49-Quadratmeter-Wohnung in der Kochstraße 16 soll er ab März 76,78 Euro mehr bezahlen. Seine Warmmiete beträgt nun 557 Euro – viel Geld für einen Mann, der von 850 Euro im Monat lebt.

„Ich dachte, das ist ein Versehen“, sagt Kader. Doch der Grund für die Mietexplosion ist laut Hausverwaltung der Stopp der Wohnungsbauförderung aus dem Jahr 2003. Demnach darf der Eigentümer den dadurch fehlenden Betrag auf die Miete umlegen. Kader ist irritiert und klingelt bei seinem Nachbarn Herbert Adams. Der hat auch ein Schreiben der Hausverwaltung erhalten. Seine Mieterhöhung: 10,78 Euro, 66 Euro weniger als bei Kader – obwohl beide Wohnungen gleich groß und gleich geschnitten sind. Adams und Kader sind überzeugt: Mieter mit Migrationshintergrund haben wesentlich geringere Mieterhöhungen erhalten als Nachbarn deutscher Herkunft.

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„Das ist doch perfide“, sagt Külz dazu. Sie engagiert sich gemeinsam mit der Anwältin Eva Maria Andrades vom Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin. Die Juristin spricht mit den Betroffenen: „Zunächst müssen wir klären, ob sich der Verdacht der Diskriminierung erhärtet.“ Andrades lässt Zettel verteilen, auf denen die Mieter Auskünfte über ihre Wohnungen und ihre Mieterhöhungen machen sollen. Sie erklärt den Betroffenen, welches Gesetz sie schützt: „Sie sollten ihre Ansprüche laut Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz binnen zwei Wochen bei der Hausverwaltung geltend machen.“

Die Hausverwaltung weist den Vorwurf der Diskriminierung von sich. „Ethnische oder gar rassistische Motivationen bei den Mieterhöhungen sind frei erfunden und entbehren jeglicher Grundlage“, sagt Stefan Claus, Geschäftsführer der Claus Hausverwaltung. Er verweist auf den Hauseigentümer, der für die unterschiedlichen Mieterhöhungen verantwortlich zeichne. Der Eigentümer der Wohnanlage Kochstraße 16–25 ist die TOV Kochstraße GmbH und Co. Sie hat das Objekt im Dezember 2010 ersteigert. Einer der beiden Geschäftsführer ist Menachem Jundef. Auf Anfrage der Morgenpost wollte sich Jundef zum Sachverhalt nicht äußern – er verweist zurück an die Hausverwaltung.

 

 

In Berlin herrscht keine Wohnungsnot – MIETERHÖHUNG UM FAST 800 EURO

Artikel in der Berliner Morgenpost vom 04.03.2011