12.01.2011 | Von: M. BÖTTCHER, M. WILMS.

Hier wohnen Angst und Wut

Im Fanny-Hensel-Kiez und in Buch bangen Mieter um ihre Bleibe ++ Modernisierung treibt die Miete ++ Berliner fragen sich: Wie soll ich das zahlen?

Berlin – Der Miet-Horror nimmt kein Ende! Auch 2011 bleiben die Berliner von heftigem Preis-Irrsinn nicht verschont. Im Kreuzberger Fanny-Hensel-Kiez sollen 110 Sozialwohnungen zu Wohn-Eigentum werden. Einen Kauf kann sich dort aber niemand leisten. Und in Buch sorgt jetzt die Howoge für eine Miet-Explosion: Sie hebt die Mieten um satte 67 Prozent an.

Eine Aufforderung an sozial schwache Familien, über den raschen Auszug nachzudenken. So nennt Sebastian Jung (36) vom „Bündnis Sozialmieter.de“ die saftige Mieterhöhung im Fanny-Hensel-Kiez. Denn dort bekam Martina Renke (53) wie viele andere am 27. Dezember Vermieter-Post: „Silvester war versaut“, beklagt die Rentnerin. Warum? Weil sie 691 statt 540 Euro für 68 Quadratmeter zahlen soll. Einzig bleibende Lösung: Umzug.

Absurd findet Hartz-Empfänger Hüseyin Kozak (54) die Idee, seine Wohnung im April zu kaufen. Die Umwandlung in Eigentum hatte die „Industria GmbH“ im November verkündet. Um die Gebäude aufzumöbeln, läuft der Einbau einer Wärmedämmung – wegen Schimmel in etlichen Wohnungen! Jung: „Aber eine Gebäudeseite wird ausgespart. Was soll das also bringen?“

Der Bezirk will immerhin dafür sorgen, dass nicht jeder reiche Kauf-Interessent hier Mieter vertreiben kann. Zuschlagen soll vorerst nur dürfen, wer einen Wohnberechtigungsschein hat. Gestoppt sind die Vermieterpläne damit aber nicht.
In Buch konnte Anfang 2010 selbst ein ausgewachsener Skandal (das Ingenieurbüro von SPD-Politiker Ralf Hillenberg hatte den Sanierungsauftrag ohne Ausschreibung erhalten, der KURIER berichtete) die geplante Modernisierung nicht stoppen. Zwar wurden die Pläne noch einmal überarbeitet. Und die mögliche Steigerung sank von 100 auf „nur“ 67 Prozent – doch die Wut bleibt.

„Uns reicht es. Wir ziehen aus“, schimpft Reinhard Müller. Der Rentner und seine Frau leben seit 1978 in der Walter-Friedrich-Straße. „Ich habe Bad und Küche auf eigene Kosten saniert. Jetzt sollen wir im Baudreck leben und auch noch eine höhere Miete zahlen.“

1200 Wohnungen sollen ab April saniert werden. Für eine 127 Quadratmeter-Wohnung werden dann 762 statt 457 Euro fällig. Sollte es soweit kommen, müsste auch Marion Leuschel (68) überlegen, ob sie sich ihr Zuhause (seit 30 Jahren) noch leisten könnte. „Zumal ich auf den Fahrstuhl angewiesen bin. Aber der fällt ja dann mehrere Wochen aus“. Ja, auch 2011 leidet Berlin unter dem Miet-Wahnsinn …

Hier wohnen Angst und Wut
Artikel im Berliner Kurier vom 12.01.2011