06.07.2010 | Von Daniela Englert

WOHNUNGSMARKT

Mietwucher in Sozialwohnungen könnte Dauerproblem werden

In Innenstadtlagen drohen in Sozialwohnungen Mieterhöhungen von 30 bis 100 Prozent. Das könnte zum Dauerproblem werden – denn der Mietspiegel wird für manche Gebäude noch auf Jahrzehnte nicht gelten.

Berlin hat ein spezielles Problem mit dem sozialen Wohnungsbau. Durch den Beschluss des Senats von 2003, damals noch mit Thilo Sarrazin (SPD) als Finanzsenator, Subventionen für Sozialimmobilien teilweise zu streichen, drohen Mietern in Innenstadtlagen, wie berichtet, Mieterhöhungen von 30 bis 100 Prozent. Rund 28 000 von 172 000 Berliner Sozialwohnungen sind von den Kürzungen betroffen. Drastische Mieterhöhungen wie in der Kreuzberger Friedrichstadt und dem Fanny-Hensel-Kiez nehmen zu. Sie könnten zum Dauerzustand werden, wenn die Politik nicht gegensteuert.

Das liegt an den öffentlichen Förderdarlehen, die für diese Immobilien noch über viele Jahre ruhen – wodurch die Beschränkungen des Mietspiegels bis auf Weiteres hier nicht gelten: „Die Darlehen werden überhaupt noch nicht zurückgezahlt“, erklärte ein Experte der landeseigenen Investitionsbank Berlin (IBB) auf Anfrage. Denn erst weitere 15 Jahre nach dem Stopp der Subventionen muss der Eigentümer den Kredit zurückbezahlen, innerhalb von 21 Jahren. Für eine Immobilie, für die die Subventionen zum Beispiel zum 30. Juni dieses Jahres ausliefen, gilt nach planmäßiger Rückzahlung erst zum 1. Januar 2047 der Berliner Mietspiegel.

Bis dahin gelten in diesen über 700 Immobilien andere Gesetze. Vermieter, die vom Wegfall der Subventionen betroffen sind, dürften per Gesetz die Miete verlangen, die ihre Kosten deckt und die in Berlin zwischen 12 und 21 Euro pro Quadratmeter und damit weit über dem Mietspiegel liegt. Vermieter können die Kostenmiete auch willkürlich von einzelnen Mietern verlangen und sie faktisch zum Auszug zwingen.

Mietern bleibt im Fall, dass sie nicht zahlen können oder wollen, nur ein Sonderkündigungsrecht. Zugleich hatte der Senat auf die Belegungsbindung, also die Weitervermietung nur an Bedürftige, verzichtet. „Die Wohnungen gelten so lange als Sozialwohnungen, bis die öffentlichen Kredite vollständig zurückgezahlt sind“, erklärt die IBB.

Auch ein Weiterverkauf oder eine Insolvenz ändern am Status „Sozialwohnung“ zunächst nichts. Bei Zwangsversteigerungen gilt eine Übergangsfrist von drei Jahren, in denen der neue Erwerber die Kostenmiete weiter verlangen darf. An den Immobilien hängen außerdem Bürgschaften des Landes Berlin in Millionenhöhe. „Sarrazin hat den Ausstieg aus der Anschlussförderung gegen den Willen der Wohnungswirtschaft gemacht“, kritisiert Dieter Blümmel von Grundeigentümer-Verband „Haus und Grund“. „Der Senat hätte sich damals mit den Vermietern über eine Stundung der Darlehen einigen oder ganz auf die Rückzahlung verzichten sollen.“ Auch die Oppositionsparteien kritisieren die „Machart“, des beschlossenen Ausstiegs, als „fachlich nicht ausreichend“, wie der FDP-Abgeordnete Albert Weingartner sagt, oder als „Rasenmähermethode“, die zu zahlreichen „sozialen Härtefällen“ führe, wie es der wohnungspolitische Sprecher der CDU, René Stadtkewitz, formuliert.

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Mietwucher in Sozialwohnungen könnte Dauerproblem werden
Vollständiger Artikel im Tagesspiegel vom 06. Juli 2010