Vertreibung aus dem Zuhause

Seit der Senat die Förderung kappte, werden Sozialwohnungen für viele unbezahlbar / Mieterhöhungen um 30 Prozent

Birgitt Eltzel

Mehrere tausend Mieter in Berlin sind in absehbarer Zeit vom Verlust ihrer Sozialwohnungen bedroht. Das befürchtet der Hauptgeschäftsführer des Berliner Mietervereins, Reiner Wild. „Bereits jetzt erleben wir, dass Mieten um 30 Prozent und mehr steigen“, sagt Wild. Betroffen seien insbesondere Quartiere innerhalb des S-Bahnrings.

Hintergrund ist das Auslaufen der Förderung für den sozialen Wohnungsbau. Jahrzehntelang hatte das Land den Vermietern den Ausgleich zwischen billiger Sozialmiete und hoher Kostenmiete bezahlt. Den Ausstieg aus dieser kostspieligen Subventionierung hatte der rot-rote Senat im Jahr 2003 beschlossen. Bei etlichen Objekten ist die Förderung bereits ausgelaufen, bei anderen endet sie 2016. Insgesamt 28 000 Sozialwohnungen sind davon betroffen.

In den ersten Jahren hätten viele Vermieter die Mieten nicht erhöht, weil sie auf juristischem Wege eine Anschlussförderung durchsetzen wollten, sagt Wild. Doch das Bundesverwaltungsgericht bestätigte im Mai 2006 die Position des Senats. Etliche Wohnungsunternehmen gingen in die Insolvenz, Häuser wurden verkauft oder versteigert. Andere Vermieter versuchten, angesichts der Konkurrenz in der Stadt Mieten zu halten oder maßvoll zu erhöhen. „Inzwischen hat sich das Mietniveau in der Stadt verändert“, sagt Wild: „Und wo die Mieten steigen, wittern die Vermieter Morgenluft.“ In angesagten Kiezen von Kreuzberg und Schöneberg habe eine systematische Verdrängung begonnen. Nach dem jüngsten Wohnungsmarktbericht der Investitionsbank Berlin ist Friedrichshain-Kreuzberg auf dem Weg, so teuer zu werden wie Steglitz-Zehlendorf und Charlottenburg-Wilmersdorf (wir berichteten).

Wild kritisiert den Senat: „Er zeigt kein Bedürfnis, den Mietern zu helfen.“ Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer lehnt bisher Ausnahmeregelungen für von Mietsteigerungen Betroffene ab. Der Mieterverein hatte gefordert, Härtefallregeln zu verändern. Bisher gibt es einen halbjährigen Mietzuschuss und Umzugshilfe nur bis zu drei Jahren nach Auslaufen der Förderung. Wer, wie jetzt in etlichen Kiezen geschehen, später eine Mieterhöhung erhält, geht leer aus. Weil bezahlbare Wohnungen für sozial Schwache knapp werden, fordert der Mieterverein auch die Wiedereinführung der Belegungsbindung von Sozialwohnungen. Diese war in den letzten Jahren in verschiedenen Stadtteilen abgeschafft worden, um Ghettoisierungen entgegenzuwirken.

Der bündnisgrüne Bürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, Franz Schulz, hat inzwischen einen Runden Tisch zum Thema initiiert. Auch Schönebergs Bezirksbürgermeister Ekkehard Band (SPD) hat betroffenen Mietern versprochen, sich zu kümmern. Indes haben Bewohner aus Kreuzberg und Schöneberg begonnen, sich gegen die aus ihrer Sicht unsoziale Senatspolitik zu wehren: Sie laden am Ostersonnabend zu Aktionen in die Schöneberger Akazienstraße – mit symbolischem Umzug auf die Straße.

Akazienstraße 6/Belziger Straße 13, Schöneberg:

In den knapp 20 Jahre alten, miteinander verbundenen Häusern gibt es 28 Wohnungen. Der vormalige Eigentümer ging in die Insolvenz, der neue erhöhte im November 2009 die Kaltmiete um rund 30 Prozent. Weitere Erhöhungen wurden bereits angekündigt. Dieter Bernhardt (52), ein früherer Lehrer, der wegen einer schweren Krankheit eine Erwerbsunfähigkeitsrente bezieht, muss inzwischen für seine 62 Quadratmeter große Zweizimmer-Wohnung 665 Euro warm zahlen. Bei seinem Einzug 2002 waren es noch 490 Euro. Die Miete verschlingt inzwischen mehr als ein Drittel seines Einkommens. „Dabei wurde an dem Haus seit dem Erstbezug nichts gemacht“, beklagt Bernhardt. Viele Mieter versuchten jetzt, etwas Neues zu finden: „In Schöneberg, zu bezahlbaren Preisen, ist das aber fast aussichtslos.“ Laut Sozialstadträtin Sibyll Klotz (Grüne) gibt es im Schöneberger Kiez für alleinstehende Hartz-IV-Bezieher keine Wohnungen mehr. Auch andere kleine preiswerte Wohnungen seien dort Mangelware.

Charlottenstraße 97a, Kreuzberg:

Das Haus wurde nach Entwürfen des amerikanischen Architekten John Hejduk zur Internationalen Bauausstellung (IBA) gebaut, 1988 bezogen. Noch heute wird der Komplex mit dem Kreuzberg-Tower häufig von Architekturstudenten besichtigt. 55 Wohnungen gibt es dort. 2009 erfolgten drastische Mieterhöhungen. Die Designerin Almut Bouchon, alleinerziehend, zwei Kinder (7 und 10 Jahre), ist vor zwei Jahren eingezogen. Damals zahlte sie 5,50 Euro kalt, nun werden 8,50 Euro gefordert. Ihre 80 Quadratmeter-Wohnung, in der sie auch ihr Atelier hat, kostet damit rund 950 Euro warm. Weil sie die Steigerung nicht akzeptierte und nur die im Mietvertrag vereinbarte Höhe zahlte, erhielt sie die fristlose Kündigung. Sie wehrt sich juristisch. „Was ist aus den sozialen Ideen der IBA geworden?“, fragt sie.

Fanny-Hensel-Kiez, Schöneberger Straße, Kreuzberg:

Der neue Eigentümer hat die Warmmiete in der 1987 errichteten Siedlung von 5,33 Euro auf 7,04 Euro erhöht. 144 Wohnungen gibt es dort. Bis zum 19. März haben Bewohner ein Sonderkündigungsrecht, bis 31. Juli müssen sie dann ausgezogen sein. Mietersprecher Sebastian Jung kritisiert: „Der Senat weigert sich, uns zu helfen.“ Man werde zum Umzug gezwungen: „Wir brauchten einen Sponsor, der uns hilft, ein Rechtsgutachten für Karlsruhe in Auftrag zu geben.“ Der Gleichheitsgrundsatz werde massiv verletzt – Mieter von Sozialwohnungen würden gegenüber dem freien Markt benachteiligt.

Kochstraße 28/29, Wilhelmstraße 40/41, Kreuzberg:

Die Förderung der 103 Sozialwohnungen lief im Februar 2005 aus. Jetzt wurden die Mieten um mehr als ein Drittel erhöht. Kirim Özmin, zur Zeit in einer Maßnahme des Jobcenters, zahlte bisher für seine Dreizimmer-Wohnung (78 Quadratmeter) 630 Euro warm. Nun soll er 948 Euro berappen. Er wohnt dort mit seiner Frau, die einen Teilzeitjob hat, und zwei Kindern seit zwölf Jahren. Die Kinder gehen in der Nähe in die Schule. „Wenn wir wegziehen müssen, ist das besonders für die Kinder schlimm“, sagt Özmin. Er möchte den Kiez, in dem er seit 30 Jahren wohnt, auch nicht verlassen: „Das ist mein Zuhause.“

Artikel in der Berliner Zeitung vom 6. März 2010